Am Morgen des 10. Januar lösen wir um 8:15 Uhr die Leinen in der Marina Quinta do Lorde mit dem Ziel Lanzarote. Es ist schon hell, obwohl die Sonne heute erst um 8:11 Uhr aufgeht.
Langsam verlassen wir die Marina. Von der Timshal winken uns Christina und Peter zum Abschied. Christina macht Bilder von uns, die uns kurz danach auf dem Handy erreichen.
Claudia und ich freuen uns auf unsere erste größere Passage zu zweit. Wir sind gespannt, wie es werden wird. Bei Claudia schwingt auch ein bisschen Sorge mit. Sollte ich aus irgendeinem Grund ausfallen, müsste sie meine Aufgaben übernehmen oder im schlimmsten Fall Hilfe von außen rufen. Meine Anfälligkeit für Seekrankheit steht hier vor allem im Raum.
Um dem vorzubeugen habe ich mir gestern bereits ein Pflaster gegen Seekrankheit hinter das Ohr geklebt, das über einen Zeitraum von 72 Stunden einen Wirkstoff abgibt, der verhindern soll, dass sich die Symptome einstellen.
Der Wind weht heute Morgen wie erwartet schwach aus Ost. Da er im Verlaufe der kommenden zwei Tage immer wieder auch mal auf Ostsüdost drehen soll und wir nach Lanzarote in Richtung Südosten wollen, bedeutet das, dass wir einen Am-Wind-Kurs segeln müssen. Wir wollen dabei versuchen, uns so gut es geht, östlicher zu halten, damit wir Lanzarote (hoffentlich) ohne kreuzen zu müssen erreichen können. Zum Ende hin soll der Wind sehr schwach werden, so dass wir die restliche Strecke entweder sehr langsam sein werden – oder eben mit Motorunterstützung fahren müssen.
Wir verlassen Madeira deswegen mit der Maschine in südöstlicher Richtung. Ich möchte die Ilhas Desertas vor Madeira im Norden passieren und danach erst die Segel setzen. Ich hoffe, dass wir so die Wind-Abschattung der Inseln vermeiden und ein paar Meilen Richtung Ost gut machen können.
Der Autopilot hält den Kurs, Claudia und ich machen klar Schiff und räumen die Fender und die Festmacher auf. Nachdem wieder Ruhe im Schiff eingekehrt ist, bitten wir Neptun um seinen Schutz für Sabir, Claudia und mich und um eine ruhige Überfahrt. Normalerweise sind wir ja überhaupt nicht abergläubisch – aber auf See…
Wir genießen die Fahrt entlang der Desertas. Aus dieser Perspektive haben wir die unbewohnten Inseln vor Madeira noch nie gesehen. Wir beobachten eine einzelne Möwe, die immer wieder dicht an Sabir heranfliegt, uns beäugt und sich dann an unserer Steuerbordseite im Wasser niederlässt. Sie lässt sich bis auf drei oder vier Schiffslängen hinter uns zurückfallen, dann startet sie wieder, fliegt zu uns und das Spiel beginnt aufs Neue.
Wir denken uns noch: „Wenn uns schon keine Delfine begleiten, dann tut es auch eine Möwe…“ Gegen Mittag kommen sie aber doch noch. Ein relativ großer Schwarm kleiner Delfine schwimmt neben uns her. In etwas größerer Entfernung sehen wir auch immer wieder mal ein paar Tier Sprünge machen. Leider gelingen uns keine guten Aufnahmen. Die Delfine sind einfach zu klein, kommen nicht weit genug aus dem Wasser heraus oder sind einfach zu weit weg.
Endlich sind wir so weit an den Desertas entlang gefahren, dass wir die Segel setzen können. Der Wind ist anfangs noch recht schwach, aber wir hoffen auf mehr. Wir dümpeln mit nur 2-3kn dahin. Immer wieder begleiten uns Delfine, die trotz unserer langsamen Geschwindigkeit bei uns bleiben und gemächlich nebenher schwimmen. Endlich gegen 17:00 Uhr frischt der Wind auf und dreht auf Ostnordost, so dass wir schneller segeln können und sich unser Kurs nun auch eher in Richtung Lanzarote ändert.
Das Steuern übernimmt übrigens unser elektrischer Autopilot. Den habe ich ja letztes Jahr im Oktober noch mit dem Windmesser verbunden, so dass er in der Lage ist, einen konstanten Winkel zum Wind zu steuern. Somit werden leichte Winddreher ausgeglichen. Die Windfahne wollten Claudia und ich auf diesem Törn nicht einsetzen, da wir uns nicht der Situation aussetzen wollten, eventuell unterwegs wieder die hydraulische Steuerung einhängen zu müssen.
Da wir nur zu zweit sind, muss immer einer von uns die Wache übernehmen, während der andere versuchen muss zur Ruhe zu kommen, um sich seinen Schlaf zu holen. Wir haben uns auf 4-Stunden-Wachen geeinigt:
00:00 - 04:00
Claudia04:00 - 08:00
Peter08:00 - 12:00
Claudia12:00 - 16:00
Peter16:00 - 20:00
Claudia20:00 - 24:00
Peter
Wir haben uns etwas zu Essen vorgekocht, das wir nur warm zu machen brauchen und für das Frühstück haben wir Müsli eingeplant. Wir wollen uns nicht mit großen Koch- oder Spülaktionen beschäftigen müssen. Falls wir doch Lust haben sollten etwas zu kochen, hindert uns ja niemand daran…
Der erste Tag neigt sich dem Ende zu. Die Ilhas Desertas und Madeira sind am Horizont immer noch zu erkennen. Unsere auf dem Atlantik unverbaubare Aussicht beschert uns einen schönen Sonnenuntergang. Wir genießen das schöne Licht und das Schauspiel der Wolken.
Gegen 22:00 Uhr verschwindet das letzte Licht Madeiras hinter dem Horizont. Um Mitternacht haben wir die ersten 66 Seemeilen von ca. 290 zurückgelegt. Die Nacht wird sehr kalt und wir müssen uns warm anziehen. Der Wind frischt im Laufe der Nacht immer weiter bis auf knapp 20kn auf und Sabir segelt in der zweiten Nachthälfte mit permanent über 6kn Fahrt dahin. Claudias Wache beginnt am nächsten Morgen mit einem schönen Sonnenaufgang.
Einen kurzen Schreck bekommen wir, als wir feststellen, dass aus dem rechten Waschbecken in der Küche Wasser überläuft, sich über die Ablage der Küche verteilt und hinter dem Schrank und der Wandverkleidung verschwindet. Da wir auf dem Steuerbordbug segeln und auch die Küche auf der Steuerbordseite liegt, lag das rechte Waschbecken immer wieder mal unterhalb der Wasserlinie. Wir halten zwar die Seeventile der Toiletten wenn wir segeln immer geschlossen – aber die Ventile der Waschbecken bleiben offen. Diese Sache beschert uns zwei Stunden Arbeit: Das Wasser muss aus dem Waschbecken geschöpft werden, die Sauerei in der Küche muss weggeputzt werden (das Wasser schwappt in der Bilge der Küche herum). Wieder was gelernt: Wir schließen künftig also auch diese Seeventile, wenn wir segeln. Diese Arbeit wollen wir uns nicht noch mal machen müssen…
Interessanterweise habe ich, seit wir losgefahren sind, keinerlei Probleme mit Seekrankheit – das Pflaster hilft. Selbst bei der eben beschriebenen Aktion kopfüber in der Bilge bei Seegang spüre ich nichts. Wir sind sehr froh, dass das Mittel derart gut hilft. Claudia wird mich auch weiter regelmäßig fragen ob es mit gut geht, aber ich kann einfach nicht klagen – gut so! 😉.
Wir schicken auch dieses Mal wieder Nachrichten mit unserem Satellitentelefon. Eine Nachricht geht an Nadja und Stefan. Die beiden leiten diese Nachricht über Telegram an Familie und Freunde weiter, damit sich diese keine allzu großen Sorgen um uns machen müssen. Eine weitere Nachricht geht an Ilja und Stefan (die Vorbesitzer von Sabir). Diese schreiben uns eine Nachricht mit den aktuellen Wetteraussichten zurück, damit wir uns keine allzu großen Sorgen um das Wetter machen müssen (bei dieser kurzen Passage wäre dies aber eigentlich nicht notwendig). Ein lieber Dank geht auf diesem Weg an die vier für die Unterstützung.
Der Dienstag verläuft mit einer gewissen Routine. Wir wechseln uns alle vier Stunden mit der Wache ab. Während unserer Wachen prüfen wir alle 20 Minuten das AIS und den Horizont darauf, ob andere Schiffe in unserer Nähe sind. Wir machen alle Stunde einen Eintrag in unser Logbuch. Ansonsten beobachten wir die Wellen und die Wolken oder versuchen zu lesen (funktioniert nicht – der Blick schweift immer zum Horizont).
Ab und an (verlässlich immer kurz vor Sonnenuntergang) hört man die Ausblasgeräusche von Delfinen, wenn sie aus dem Wasser auftauchen um Luft zu holen. Dann wecken wir den jeweils anderen auf und beobachten mit Freude und Ehrfurcht die anmutigen Tiere, wie sie mit Sabirs Bugwelle spielen.
Die Sonne verschwindet kurz nach 18:00 hinter dem Horizont und der Mond erhellt die Nacht. In den frühen Morgenstunden geht dann auch der Mond in spektakulären orangen Farben unter und es wird für ein paar Stunden stockfinster. Nun ist die Gelegenheit den klaren Sternenhimmel und das Meeresleuchten zu betrachten.
Bei Claudia und mir macht sich der Mangel an Schlaf bemerkbar. Wir schaffen es beide nicht mehr, während unserer Wachen dauerhaft wach zu bleiben. Wir stellen uns ja immer einen Wecker, der uns alle 20 Minuten daran erinnert, dass wir unseren Rundumblick nicht verpassen. Dazwischen dösen wir.
Wie erwartet verlässt uns am frühen Morgen des Mittwochs der Wind. Mit nur noch 8kn Wind machen wir viel zu wenig Fahrt, als dass wir heute noch bei Tageslicht ankommen könnten. Ich wecke Claudia kurz, sage ihr Bescheid, was ich vorhabe (damit sie nicht erschrickt), dann rolle ich das Vorsegel ein, hole das Großsegel dicht und starte den Motor.
Ab jetzt werden wir vermutlich den Rest des Tages bis nach Arrecife mit der Maschine fahren müssen.
Nach Sonnenaufgang können wir am Horizont bereits Lanzarote erkennen. Wir freuen uns, dass das Ziel unserer Reise zum Greifen nah ist. Wir schauen oft auf unsere Handies, ob wir eventuell schon Mobilfunkempfang haben und wir Familie und Freunden Bescheid sagen können, wo wir sind. Irgendwann ist es so weit. Unsere Handies machen „pling, pling“ und Nachrichten trudeln ein. Wir schicken die ersten Nachrichten raus. Es stellt sich ein gutes Gefühl von „angekommen“ ein – auch wenn wir geschätzt noch bis ca. 17:00 Uhr unterwegs sein werden. Euphorie macht sich breit und unsere Müdigkeit ist wie fortgeblasen.
Gegen Mittag passieren wir zunächst die vorgelagerte Insel Alegranza, danach La Graciosa. Wir erhaschen einen Blick auf den Ort Caleta del Sebo. Wie schon geschrieben, müssen wir das Ankern vor La Graciosa zunächst auslassen, da wir ab Freitag mit einem Wind rechnen, der dort zum Ankern nicht so geeignet ist. Wir wollen es aber auf alle Fälle in ein paar Tagen noch versuchen.
Wir bekommen nun auch über Funk die Küstenfunkstellen der Kanaren rein. In regelmäßigen Abständen erreichen uns „Pan Pan“-Meldungen, die das Thema Bootsflüchtlinge hier in der Region spürbar machen. In einer Meldung ist von 59 Menschen die Rede, die in einem Boot von der marokkanischen Küste (Tarfaya) aus in Richtung Kanaren unterwegs sind, in einer weiteren Meldung sind es noch mal 10 Menschen. Die Vorstellung einem Flüchtlingsboot zu begegnen ist gruselig.
Wir holen die portugiesische Gastlandflagge ein, die in den letzten Monaten unter unserer Steuerbordsaling gesetzt war und hissen statt dessen die spanische Flagge (die wir uns in Ayamonte gekauft hatten).
Wir bekommen Nachricht von Ilja und Stefan. Die beiden sind gerade ebenfalls auf Lanzarote und begrüßen uns. Sie freuen sich „ihre“ Sabir wiederzusehen und uns in der Marina Lanzarote zu treffen. Die beiden stehen in „Jameos del Agua“ und fragen nach unserer Position – ob sie uns denn irgendwo sehen können. Wir ändern unseren Kurs und halten auf diesen Ort zu. Relativ dicht an der Küste rollen wir – trotz des wenigen Winds – wieder das Vorsegel aus und setzten den Besan, so dass Sabir in ihrer ganzen Pracht zu sehen ist. Ilja und Stefan machen Fotos von uns und schicken uns ein Handyfoto (die guten Bilder bekommen wir später noch).
Mit den gesetzten Segeln und der Hilfe des Motors geht es die restlichen 2,5h an der Ostküste Lanzarotes entlang. Wir sehen die Hafeneinfahrt von Arrecife gegen halb fünf. Wir holen alle Segel ein, bereiten Fender und Festmacher zum Anlegen vor und rufen die Marina auf Kanal 9. Ein Marinero wird uns erwarten und unsere Leinen entgegennehmen. Wir erreichen die Marina um Punkt 17:00 Uhr und machen fest. Wir sind noch nicht ganz angekommen, stehen schon Ilja und Stefan da und es gibt ein großes „Hallo“. Bislang kannten nur Stefan und ich uns persönlich. Wir freuen uns, uns nun alle persönlich kennenzulernen und bitten die beiden an Bord zu kommen.
Obwohl Claudia und ich hundemüde sind, beginnt nun ein sehr schöner Abend mit den Voreignern auf „unserer“ Sabir. Die beiden sind verständlicherweise sentimental, war Sabir doch während Ihrer Weltumseglung vier Jahre lang Zuhause und Gefährt(in). Wir lauschen den Geschichten und Erlebnissen, die sie mit Sabir erlebt haben. Nachdem sich die beiden gegen 22:00 Uhr verabschiedet haben, fallen Claudia und ich ins Bett und schlafen sofort sehr zufrieden, tief und fest ein.
In dem ganzen Trubel haben wir vergessen, Familie und Freunden Bescheid zu sagen, dass wir auch die letzten Meilen bis in die Marina Lanzarote gut zurückgelegt haben. Morgen früh werden wir die Nachfragen in unseren Messengern finden und uns peinlich berührt entschuldigen… 🤭
Datum | Entfernung (nm) |
10.01.2022 ab 8:15 | 66,2 nm |
11.01.2022 | 134,5 nm |
12.01.2022 bis 17:00 | 95,0 nm |
Gesamt 56,75h | 295,7 nm |
Hallo Herr Bothe,
das hört sich soo schön an! Bin schon ein wenig neidisch.
Sitze hier im Homeoffice und kümmere mich um stuttgart.de und den Umzug der Microsites🙈
Dabei gibt es sooo schöne andere Dinge auf der Welt!
Wünsche Ihnen weiterhin gute Touren mit dem richtigen Wind und tollen Erlebnissen!
Viele Grüße aus „the Länd“🙈🤷♀️
Ute Spiekermann
Danke für den Kommentar, das treue Lesen unserer Erlebnisse und die guten Wünsche. Wir wollen niemanden neidisch machen, am liebsten hätten wir gerne alle hier dabei um zu teilen, was wir erleben, aber das geht leider nicht. So bleibt uns/Euch „nur“ unser Blog.
Danke für den Bericht und viel Spaß auf den und um die Kanaren 🙂
Das Weiterleiten der Nachrichten machen wir natürlich gerne. Eure „Land in Sicht seit 07:30!“-Meldung habe ich leider erst nach eurer Messenger-Meldung mitbekommen, obwohl sie eigentlich vorher ankam… Liebe Grüße!
Vielen Dank! Ja, das war schon kurios: Wir wollten noch mit dem Satellitentelefon Bescheid sagen, dass alles gut ist, weil wir nicht wussten, wie lange es noch dauert, bis wir Mobilfunkabdeckung haben. Dann ging es doch recht schnell…