Kirchenmusik und kirchliche Feste

Am Freitagnachmittag haben wir eine unserer Winschen auseinander genommen und begonnen, sie zu reinigen. Als wir keine Lust mehr auf die Dreckarbeit haben, machen wir uns gegen Abend zu einem Spaziergang durch das Städtchen auf und landen nochmal im „Duque da Terceira“ Garten. Wir albern rum und genießen es, die Zeit zu vertrödeln und Quatsch zu machen.

Auf dem Rückweg kommen wir wieder an der kleinen blauen Heilig Geist Kapelle – dem Império do Divino Espírito Santo Dos Inocentes Da Guarita – vorbei, die wir bei unserer ersten Erkundung von Angra schon gesehen haben. Heute stehen die Türen offen. Ich versuche einen Blick hinein zu erhaschen und fühle mich ertappt, als mich drinnen stehende Männer freundlich bitten, dass ich doch gerne reinkommen und mich umschauen soll. Ich schäme mich zuerst ein bisschen für meine Neugierde, nehme dann aber das Angebot dankend an. Ein freundlicher Herr erklärt uns, was es mit den ausgestellten Kronen, die in den unterschiedlichsten Größen auf den Tischen stehen, auf sich hat. Außerdem drückt er uns einen Flyer in die Hand und erklärt uns, dass vom 17.-30. Juli die Festas Da Guarita – die Heilig Geist Feierlichkeiten – stattfinden. Er lädt uns herzlich dazu ein und wir sagen zu, dass wir an einem der Tage sicher mal vorbeischauen werden.

Überall auf den Azoren, vor allem aber auf Terceira, finden sich solche Heilig Geist Kapellen. Da die Azoren in der Vergangenheit häufig von Erdbeben oder Vulkanausbrüchen heimgesucht wurden, wenden sich die Bewohner in ihrer Suche nach Schutz an den Heiligen Geist. Ihm zu Ehren wurden die Kapellen gebaut, die das ganze Jahr über verschlossen sind und erst anlässlich des Heilig Geist Festes geöffnet werden. Das Fest diente früher der Speisung der Armen, heute wird es wie ein Volksfest gefeiert. Heilig Geist Feste finden ab Pfingsten den ganzen Sommer über statt – in jedem Ort zu einem anderen Zeitpunkt. Organisiert wird das Fest vom „Mordomo“, dem Kaiser. Jedes Jahr wird aus der Gemeinde ein Mann oder eine Frau zum Kaiser ernannt und ist dann für Organisation und Durchführung des Festes verantwortlich. Die Insignien des Kaisers, Krone und Zepter, werden in Vorbereitung des Festes in der Gemeinde von Haus zu Haus getragen, um Spenden für das Fest einzusammeln. Alle Kronen der vergangenen Feste werden in den Impérios aufbewahrt.

Am 16. Juli vertreiben wir uns die Zeit mit einem kleinen Spaziergang und erledigen auf dem Heimweg kleinere Einkäufe.

Am Tag darauf, am Sonntag, findet das Konzert in der Kathedrale statt. Hierfür verabreden wir uns mit Jutta&Willi. Wir sitzen auf der kleinen Empore und lauschen den Klängen von Orgel und Cembalo. Wie schön anzuhören, welch lieblich hohen Töne, dem zierlich und zerbrechlich dreinschauenden Cembalo von dem Musiker entlockt werden.

Wir verabschieden uns am Ende des Konzerts von Jutta und Willi. Sie möchten sich noch das Museum anschauen. Bei uns steht heute noch die Besichtigung des Gouverneurspalastes auf dem Programm.

Am Gouverneurspalast angekommen, lösen wir uns Tickets an der Kasse. Es gäbe die Möglichkeit die Ausstellung und das obere Stockwerk mit den Räumen des Präsidenten der Autonomen Region der Azoren ohne Führung anzuschauen oder aber in Begleitung eines Mitarbeiters, der uns alles erklärt. Wir lösen die Tickets ohne Führung und sind dann doch überrascht, als wir von einer freundlichen jungen Dame durch die Räumlichkeiten des Präsidenten geführt werden und sie uns zu allem etwas zu berichten hat. Wir bekommen repräsentative Arbeitszimmer, Esszimmer und Salons zu sehen und dürfen uns im Garten des Palasts umschauen (der Garten ist jedoch irgendwie nichts Besonders). Es gibt hier oben noch die Privaträume des Präsidenten – diese sind aber natürlich privat. Im oberen Stockwerk dürfen wir nicht fotografieren, nur in der Ausstellung im unteren Bereich. Dort gibt es ein prunkvolles großes altes Ruderboot zu sehen, mit dem Würdenträger von den Schiffen in der Bucht an Land gebracht wurden.

Am Abend wollen wir noch zu der kleinen blauen Heilig Geist Kapelle, denn im Flyer steht zum heutigen Auftakt der Feierlichkeiten als Programmpunkt um 20:30 Uhr:

Mudança de coroa (saída de casa do Mordomo Vitor Amaral)
Filarmónica Fanfarra Operária
Reza do Terço

Das, was wir übersetzen können, verstehen wir so, als ginge es heute „irgendwie um die Kronen“. Das möchten wir uns gerne mal anschauen.

Wir laufen zu dem Kirchlein. Es ist von aussen schön mit Blumen geschmückt, aber die Türen sind verschlossen… hm… haben wir uns womöglich im Tag geirrt? Unser Detektivsinn erwacht: Wir wissen, dass es in der gleichen Straße ein Haus gibt, auf dem irgendwas mit „Fanfarra…“ steht. Da laufen wir mal hin. Tatsächlich stehen hier einige junge Menschen. Wir fragen sie, ob sie zufällig wissen, wo das „Fest“ heute stattfindet. Sie schauen uns irritiert an und sagen uns, sie hätten zwar gleich einen Auftritt, aber wo wüßten sie auch nicht so genau. Sie sprechen untereinander und sagen uns dann, dass sie sich an der kleinen blauen Kirche treffen. Na gut, dann gehen wir wieder da hin. Nun sehen wir auch schon von Weitem, dass sich dort einige Menschen davor aufhalten. Beim Näherkommen sehen wir, dass nun auch die Türen offen sind. Nach nur kurzer Zeit sieht und erkennt uns der freundliche Herr, der uns vorgestern das Programmheft mitgegeben hat und winkt uns zu. Er kommt sofort zu uns und lädt uns ein, heute die Gäste von Vitor zu sein…

Ohweia denken wir, Gäste von Vitor? Was heißt das? Wir schauen uns ratlos an. Alle sind schick gekleidet und wir sind „ganz normal“ unterwegs. Der Herr lächelt, sagt wir sollen nun mitkommen zu Vitors Haus, dort startet das Fest. Jetzt wird uns auch klar: „saída de casa do Mordomo Vitor Amaral“ bedeutet so etwas wie „Auszug aus dem Haus des Mordomo Vitor Amaral“. Okay, denken wir, wenn das so ist, dann kommen wir mit, wohlwissend, dass eine Absage eher unhöflich erscheinen würde. Wir fühlen uns aber etwas unwohl, das kommt uns irgendwie zu „privat“ vor. Auf dem Weg zu Vitors Haus werden wir noch mit Vitor bekannt gemacht, er heißt uns willkommen und freut sich, dass wir heute seine Gäste sind. Die Straße zu Vitors Haus ist mit Lichterketten geschmückt. Ich hatte das diese Woche tatsächlich, als ich zum Einkaufen war, bemerkt und habe mir noch überlegt weshalb wohl? Am Haus angekommen, begrüßt uns auch seine Frau sehr herzlich und bittet uns, mit in den Garten zu kommen.

Als wir auf der Terrasse des Hauses ankommen, bleibt uns der Atem stocken: Vitor und seine Frau haben viele Gäste eingeladen. Auf einem langen Tisch sind viele Leckereien aufgetürmt. Man erklärt uns, dass alles selbst gemacht sei. Es gibt Süßes und Salziges. Es wird uns gesagt, wie welche Köstlichkeit heißt und mit was sie gefüllt ist, wir sollen uns doch einfach bedienen. Vitors Frau kommt und drückt jedem von uns eine Fläschchen Bier in die Hand. Die Stühle werden von hier nach da gerückt, so dass wir auch Platz finden, uns zu setzen. Alle sind freundlich und offen, fragen wo wir herkommen, was wir hier machen, wie lange wir noch bleiben und sind sehr interessiert. Eine ältere Frau – die Schwiegermutter von Vitor – sagt, wir sollen uns doch nun auch mal mit Essen versorgen. Als wir keine Anstalten machen, uns zu bedienen, steht sie schließlich auf und hält uns immer mal wieder ein Tablett mit Leckereien hin und wir müssen zugreifen. Wir sind begeistert von dem, was wir da naschen dürfen. Gerne hätten wir Fotos von allem gemacht, so dass ihr das auch sehen könnt, aber das haben wir uns dann doch nicht getraut…

Wir sind überwältigt von dieser Gastfreundlichkeit und benehmen uns vermutlich etwas unbeholfen, bedanken uns zigmal und versuchen zu erklären, dass wir das alles doch gar nicht wollen und wenn wir das gewusst hätten… und überhaupt… Man erklärt uns, dass Teil des Festes ist, Gäste (Bedürftige? 😉) einzuladen und mit Speis und Trank zu versorgen.

Irgendwann kommt Unruhe in die ganze Truppe und wir werden gebeten auf die Straße mitzukommen. Der Hausherr, seine Frau und seine Kinder stellen sich auf. Alle anderen Gäste nehmen auch ihre Plätze ein und wir beobachten das Spektakel. Schließlich sehen wir einen Herrn, der mit ein paar Raketen in eine Seitenstraße läuft und diese dort abschießt. Eine erste, eine zweite, eine dritte… Wir vermuten, dass dies der Auftakt der kleinen Prozession ist. Diese setzt sich nämlich jetzt in Bewegung. Es geht quer durch die Siedlung und hoch zu dem kleinen blauen Kirchlein.

Wir nehmen den direkten Weg zu dem Kirchlein, da wir nicht wissen, ob es ok ist, wenn wir uns auch der Prozession anschließen. Wir warten dort und hören schon von Weitem die Fanfaren und dann kommt die Prozession auch schon um die Kurve und zieht in Richtung der kleinen Kapelle.

Wir bleiben noch eine Weile stehen, beobachten das Geschehen und werden immer wieder lächelnd mit einbezogen. Nachdem wir Vitor und seine Frau in der Menge entdecken, gehen wir nochmal zu den beiden, bedanken uns für den Einblick in diese Tradition und ihre Gastfreundschaft. Sie erklären uns, dass am Donnerstag die „Speisung der Armen“ in ihrer Straße stattfindet. Sie laden uns hierzu herzlich ein. Auf der Straße werden Tische und Bänke aufgestellt sein, wir können einfach kommen und in der Gemeinschaft mitessen. Es wird eine traditionelle Suppe mit Fleisch und Brot gereicht. Über eine kleine Spende würde man sich sehr freuen, denn das kommt den Bedürftigen in der Siedlung zugute. Wir bedanken uns für die Einladung und sagen zu, dass wir am Donnerstag sicher dabei sein werden.

Wir fragen noch, was heute Abend und in den nächsten Tagen passieren wird: Es wird gebetet. Die Gemeinde trifft sich all abendlich im Império zu einem halbstündigen Gebet. Der volksfestartige Teil beginnt dann am Donnerstag.


Die Azoreaner hier auf Terceira haben einen besonderen Brauch: Wenn sie ihre Kirchenfeste feiern oder die Kronen zu den Heilig Geist Kapellen tragen, wenn ein Stier durch die Straße getrieben wird – eigentlich fast zu jeder Gelegenheit – werden Raketen mit lauten Böllern abgeschossen. Raketen zum Auftakt und Raketen zum Abschluss der Aktion.

Unten in der Marina haben wir schon immer mal wieder solche Raketen gehört und einmal tatsächlich auch beobachtet, wie eine knapp hinter Sabir – aber noch in sicherer Entfernung – ins Wasser gefallen ist. Es macht einen unglaublichen Lärm und wir erschrecken uns jedes Mal aufs Neue ganz fürchterlich. Ganz schlimm ist es, wenn die Raketen morgens um halb drei abgefeuert werden, dann sitzen wir quasi im Bett…

Wir mögen die Portugiesen und ihre Feierlichkeiten. Es hat nämlich den Anschein, sie feiern jeden Tag irgendwas und das gefällt uns ziemlich gut. Auf den Azoren werden besonders viele Feste gefeiert und diese dauern oft eine ganze Woche, da es dann sicher Festtage gibt, an denen es nicht regnet.

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