Von Claudia seid Ihr ja die letzten Tage hervorragend informiert worden. Sie hat aus den spärlichen Informationen, die ich ihr auf der Zifferntastatur des Iridium Satellitentelefons geschrieben habe, spannende Artikel gemacht. Ich war begeistert, als ich sie nach unserer Ankunft am Sonntag gelesen habe.
Hier möchte ich Euch den ersten größeren Schlag, den ich mit „Sabir“ gemacht habe noch einmal aus meinem Blickwinkel zusammenfassen. Bitte seht es mir nach, dass dieser Artikel etwas länger werden wird.
Am vorletzten Donnerstag habe ich zuerst Oliver und am Samstag dann Christoph und Tegi vom Flughafen auf Porto Santo abgeholt. Wir haben für die nächsten 2 Wochen Proviant gekauft, so dass wir nicht sofort einkaufen gehen müssen, wenn wir an der Algarve ankommen.
Der Windpilot (unser Autopilot, der rein mechanisch durch den Wind arbeitet) wurde installiert. Strecktaue wurden ausgebracht. Diese laufen auf beiden Seiten des Schiffs vom Bug bis ans Heck. Hier können wir uns mit den Lifebelts – Leinen an unseren Schwimmwesten – einpicken, wenn wir unterwegs mal aus dem Cockpit raus müssen. Das Leesegel in der Achterkajüte musste besser montiert werden, da die Druckknöpfe nicht so gehalten haben, wie ich mir das vorgestellt hatte.
Am Montag und Dienstag habe ich mich von befreundeten Seglern, den Mitarbeitern auf dem Boat Yard und von denen im Büro der Marina verabschiedet. Meine Crew wurde beim GNR (Guarda Nacional Republicana) auf „Sabir“ eingecheckt und Schiff und Crew von Porto Santo ausgecheckt. Nun kann es also endlich losgehen.
Wind und Welle sollen laut Wetterbericht perfekt sein.
Tag 1, 20.07.2021
Wir gehen gegen 12:30 Uhr Anker-auf, verlassen die Marina und setzen vor dem Hafen unsere Segel. Wir stellen den Windpilot auf einen Am-Wind-Kurs ein und beobachten, wie Porto Santo hinter uns kleiner wird. So lange wir noch in Reichweite des Mobilfunknetzes der Insel sind, nutze ich die Gelegenheit, um ein paar letzte Bilder und Nachrichten an Claudia zu schicken. Irgendwann sind wir zu weit weg, die letzten Nachrichten bleiben hängen. Die warten jetzt, bis wir an der Algarve angekommen sein werden…
Damit immer klar ist, wer gerade die Verantwortung für die Wache übernimmt, haben wir einen Wachplan ausgearbeitet. Wir haben täglich drei vierstündige und sechs zweistündige Wachen. Nach dem Auslaufen sah das so aus:
12:00 – 16:00 Oliver
16:00 – 20:00 Christoph
20:00 – 22:00 Tegi
22:00 – 00:00 Peter
00:00 – 02:00 Oliver
02:00 – 04:00 Christoph
04:00 – 06:00 Tegi
06:00 – 08:00 Peter
08:00 – 12:00 Oliver
Durch die ungerade Anzahl an Wachen pro 24 Stunden ergibt sich ein rollierendes System, so dass jeder mal jede Wache übernehmen kann/darf/muss.
Leider passen anfangs unser Kurs und unsere Geschwindigkeit nicht. Wir fahren zu hoch am Wind und sind deswegen zu langsam. Wir müssten eigentlich 57 Grad fahren um an die Algarve zu kommen, schaffen jedoch nur ca. 75-90 Grad und halten so direkt auf Marokko zu. Wenn wir die 57 Grad versuchen würden zu segeln, wären wir noch langsamer… Ich hoffe darauf, dass der Wind, je dichter wir an die afrikanische Küste kommen und je weiter nördlich wir kommen auf nordwestliche Richtungen dreht.
Tegi kocht uns ein leckeres Abendessen in der viel zu heißen Pantry. Da wir die Luken nicht aufmachen können, heizt der Herd alles ziemlich auf. Tegi verdient sich bei der Gelegenheit den Titel „Saunakoch“. Wir essen gemeinsam. Das Abendessen wird in den nächsten Tagen der einzige Zeitpunkt sein, zu dem wir alle wach sind. Ansonsten wird immer mindestens einer von uns, eher sogar zwei, bzw. bei Nacht alle drei unten liegen und sich für die nächste Wache ausruhen. Ich lege mich nach dem Essen in meine Koje um für die Wache ab 22:00 Uhr fit zu sein.
Ich spüre, wie mir der Seegang zu schaffen macht: Ich habe einen Druck im Kopf und spüre ein flaues Gefühl im Magen. Oben an Deck ist alles prima, unter Deck wird es nach ein paar Minuten blöd. In der Koje liegend ist auch alles gut. Mal schauen, ob das morgen besser ist.
Gegen 22:00 Uhr trete ich meine erste Wache an. Da in ein paar Tagen Vollmond sein wird, ist die Nacht hell, man kann auf die Wellen bis zum Horizont blicken. Wir sind offenbar alleine auf dem Meer, keine Schiffe weit und breit, Porto Santo liegt schon weit hinter uns.
Wir haben uns eine Schwimmwestenpflicht auferlegt. In folgenden Situationen muss, während wir unterwegs sind, an Deck die Schwimmweste getragen werden:
- Wen man alleine oben ist,
- wenn man das Cockpit verlässt
- und bei Nacht
Ich sitze alleine im Cockpit, habe meine Schwimmweste an und habe mich mit meinen Lifebelts am Schiff eingepickt. Da unsere Windsteueranlage (sie hat im Verlaufe des Tages den Namen „Johny“ bekommen) die Aufgabe übernimmt, das Schiff auf Kurs zu halten, bleibt für mich (und die anderen Wachführer) nur der regelmäßige Blick auf die Instrumente. Fahren wir schnell genug? Sind wir noch auf dem richtigen Kurs? Sind auf dem AIS andere Schiffe zu sehen? Außerdem werfen wir immer wieder einen Blick in die Runde um uns herum, ob eventuell die Positionslichter anderer Fahrzeuge zu erkennen sind, die ohne AIS unterwegs sind. Zu jeder vollen Stunde machen wir zudem einen Eintrag in das Logbuch und vermerken dort die Position, Windrichtung und Windstärke, die Wellenhöhe, sowie Kurs und Geschwindigkeit. Meine zweistündige Wache vergeht ereignislos und ist dann doch überraschend schnell vorbei. Ich übergebe an Oliver und lege mich bis morgen um 6:00 Uhr hin.
Tag 2, 21.07.2021
Bei meiner zweiten Wache stelle ich fest, dass mich die Übelkeit doch stärker erwischt hat, als ich gedacht habe. Ich komme an Deck prima zu Recht, kann jedoch nicht lange unter Deck bleiben und die Einträge ins Logbuch müssen echt schnell gehen. Ich verbringe die Zeit nach meiner Wache damit zu schlafen.
Wir haben am Morgen das 1. Reff eingebunden, weil der Wind zugenommen hat. Wir segeln weiter mit ca. 80 Grad und zu langsam auf die afrikanische Küste zu.
Ich schreibe Claudia eine kurze Nachricht über das Satellitentelefon und übermittle dann noch unsere Position, aktuelle Winddaten und unseren geplanten Kurs (ebenfalls über das Satellitentelefon) an Claudia und an Stefan. Stefan war der vorige Eigner von „Sabir“. Er hat sich bereit erklärt, uns regelmäßig einen Wetterbericht für die kommenden 24h zu schicken. Ich schreibe, dass wir zunächst weiter auf Kurs bleiben und auf den Winddreher hoffen.
Wir haben heute ein etwas enttäuschendes Etmal von nur 95nm.
Christoph gibt mir Tabletten gegen Seekrankheit – ich hatte gehofft, dass ich ohne zu Recht komme und mir prophylaktisch mal einfach keine gekauft (hierzu möchte ich bitte keine Kommentare 😉). Man kann von denen maximal sechs Stück am Tag nehmen, in der Regel jedoch eine Tablette alle sechs Stunden. Ich entscheide mich für eine Schockdosierung und nehme je eine alle vier Stunden. Nach der ersten Tablette lege ich mich hin und schlafe bis kurz vor meiner Wache um 20:00 Uhr. Als ich um 22:00 Uhr an Oliver übergebe, spüre ich, dass mich die Tabletten ein wenig „benommen“ machen – aber ich fühle mich schon wohler.
Tag 3, 22.07.2021
Ich habe bei meiner Nachtwache ab 4:00 Uhr festgestellt, dass der Windgenerator aufgehört hat, seinen Beitrag an der Ladung unserer Batterien zu leisten. Ohne den Windgenerator schaffen es die Solarmodule nicht, unseren Strombedarf zu decken. Nachts kann ich da nix dran machen, das muss warten, bis es hell ist.
Als ich im Verlaufe des Vormittags wach werde, stelle ich mit Freude fest, dass die Tabletten gegen Seekrankheit ganze Arbeit geleistet haben. Ich fühle mich blendend und ich könnte Bäume ausreisen. Ich kümmere mich gleich als Erstes um den Windgenerator. Ich vermute eine kaputte Sicherung. Es ist jedoch ein kaputter Sicherungshalter. Beim Prüfen der Sicherung (Ausbauen, testen, einbauen) stelle ich fest, dass der Sicherungshalter heiß wird, die Plastikhalterung der Sicherung beginnt sich selbst zu verschmelzen. Ich schneide das Kabel durch, damit nichts passieren kann und baue einen neuen Halter mit einer anderen Sicherung ein. Obwohl diese nur 15A, statt der geforderten 30A hat, wird sie bis zu unserem Ziel durchhalten. Der Windgenerator lädt wieder.
Wir bekommen Nachricht von Stefan, dass uns dichter an der afrikanischen Küste starker Wind erwartet und der Wind zunächst nicht drehen wird. Wir fahren deshalb gegen Mittag eine Wende und mit ca. 310 Grad nun ganz grob in Richtung Azoren.
Wir haben in den letzten 24h Stunden ein etwas besseres Etmal von 110nm gemacht – immer noch nicht berauschend, aber wir werden langsam schneller 😉.
Auch heute gehen wieder eine Nachricht an Claudia (die Ihr ja bereits in Claudias Beiträgen gelesen habt) und eine Standortmeldung an Claudia und Stefan. Kurze Zeit später kommt die Antwort von Stefan. Die Wende sei eine gute Entscheidung gewesen. Wir sollen weiter auf dem Kurs bleiben und zurückwenden, wenn wir 280 Grad erreicht haben.
Als wir bei abnehmendem Wind gegen 17:00 Uhr das Reff aus dem Großsegel nehmen wollen, stelle ich fest, dass gestern beim Reffen ein Fehler passiert ist. Da die Reffleinen viel Reibung haben, zieht das Patentreff das Segel vorne und hinten nicht gleichmäßig herunter, sondern hauptsächlich vorne – hinten steht es einfach nur schlecht. Achtung, jetzt kommt ein bisschen „Fachchinesisch“: Beim Versuch das Unterliek straff zu bekommen wurde das Reff einfach weiter angezogen. Das Ergebnis war, dass die Reffkausch über den Baum nach unten bis auf die Blöcke an den Mast gezogen wurde. Dabei wurde das Segel über eine Mutter gezogen. Dadurch ist die Schnur des Vorlieks auf der Höhe des ersten Reffs aus dem Segel ausgerissen und das Segel auf ca. 50cm nach achtern eingerissen. Wir entlasten das Reff nach unten, so dass es nicht weiter reißen kann. Wir können nun zwar nicht mehr ausreffen aber wir können das Segel zumindest weiter nutzen. Wenn wir an der Algarve sind, kommt es zum Segelmacher zur Reparatur.
Wir segeln während meiner Wache auf einen schönen Sonnenuntergang zu, den ich jedoch nicht zu sehen bekomme, weil ich mich zuvor bereits ins Bett legen darf/muss.
Tag 4, 23.07.2021
Vor Beginn meiner Wache um 2:00 Uhr weckt mich Tegi. Der Wind ist eingeschlafen, er weht nur noch mit unter 10 Knoten und wir machen nur noch 3-4 Knoten Fahrt. Ich fahre eine Wende – in der Hoffnung, dass da, wo wir herkommen eventuell mehr Wind ist – aber das ist Quatsch, wir dümpeln natürlich weiter zu langsam dahin. Drum nehme ich die Segel ganz runter, starte den Motor und fahre einfach direkt gegen den Wind. Das geht – ohne Welle – eine Weile lang gut, bis gegen halb fünf der Wind wieder auffrischt und es keinen Sinn mehr macht, dagegen zu motoren. Die Segel kommen wieder raus und wir gehen wieder auf Kurs 310 Grad.
In den vergangenen 24h Stunden sind wir wieder ein kleines bisschen schneller gewesen, wir haben ein Etmal von 116nm.
Wir holen den Sextanten, den ich mir zu meinem 50. Geburtstag habe schenken lassen. Wir wollen „die Sonne schießen“ um unsere Position auf alt hergebrachte Art zu bestimmen. Dabei wird mit dem Sextanten der Winkel der Sonne zum Horizont gemessen und die möglichst genaue Uhrzeit der Messung notiert. Christoph zeigt mir am Kartentisch, wie man aus der Messung mit Hilfe des Astronomischen Jahrbuchs eine erste Standlinie erstellt. Auf den ersten Blick haben wir eine ziemlich gute Messung gemacht. Danke an alle, die damals einen Beitrag zum Sextanten geleistet haben.
Wir beschließen wieder auf den anderen Bug zu gehen und den Motor zuzuschalten. Wir können uns so mit stetig über 6kn und Kurs 70 Grad dichter und höher an die portugiesische Küste heranbringen.
Der Tag war sehr sonnig und wir hatten viel Spaß. Tegi – der beste Schiffskoch auf den europäischen Meeren – hat uns auch heute wieder ein leckeres Abendessen in unserer viel zu heißen Pantry bereitet.
Der Motor unterstützt uns weiter durch die Nacht.
Tag 5, 24.07.2021
Heute Nacht wird Vollmond sein – Claudia hat es ja bereits erwähnt, um 3:36 Uhr. Bei meiner Wache, die um 0:00 Uhr beginnt, fällt nicht auf, dass noch etwas Zeit bis dahin ist. Der Mond scheint auch jetzt schon voll.
Ich sitze im Cockpit und genieße die rauschende Fahrt in Richtung Ziel. Der seit gestern Mittag laufende Motor stört leider bei dem Genuss.
Tegi wird am Morgen erzählen, dass er zur gleichen Zeit den Vollmond und den Sonnenaufgang gesehen hat – leider konnte er davon keine Bilder machen…
Wir segeln stetig weiter mit Kurs 70 Grad unserem Ziel entgegen. Zeit sich Gedanken über die Navigation in der Nähe des Cabo São Vincente zu machen. Vor dem Kap an der portugiesischen Westküste ist ein Verkehrstrennungsgebiet. Da sind, zur Entflechtung des Verkehrs der Großschifffahrt, ausgewiesene Fahrspuren definiert, die von Schiffen mit einer Länge von 20m nur in einer Richtung befahren werden dürfen. Wir Kleineren müssen diese nicht benutzen. Theoretisch dürften wir sie auch durchqueren – das ist aber nicht anzuraten, wenn nicht unbedingt notwendig. Deswegen definiere ich, dass wir uns mit Kurs 82 Grad unterhalb der Koordinaten N36° 15′ W009° 0′ zu halten haben, damit wir nicht in das Verkehrstrennungsgebiet einfahren.
In den vergangenen 24 Stunden haben wir ein Etmal von 145nm erreicht (Motor sei Dank!). Ob wir das auch ohne Segel schaffen?
Es steht eine schwerwiegende Entscheidung an:
- Ankerbier oder
- Ankerfrühstück
Wenn wir weiter mit dem aktuellen Tempo unterwegs sind, können wir es schaffen, am 25.7.2021 abends an der Algarveküste anzukommen und bei Portimão den Anker zu werfen. Damit wir nicht langsamer werden, heißt das unter Umständen, dass wir den Motor weiter laufen lassen müssen.
Wenn wir jedoch segeln wollen, kann es sein, dass wir wieder langsamer werden und damit irgendwann mitten in der Nacht zum 26.7. oder bei Sonnenaufgang ankommen.
Eine kurze Umfrage ergibt: Wir könnten alle auch noch länger unterwegs sein.
Wir entscheiden uns also zu folgender Strategie: Wir machen den Motor aus. Wir versuchen die restliche Strecke zu segeln. Das bedeutet aber für die Wachführer, dass unsere Geschwindigkeit nie unter 5kn fallen soll, da wir sonst wieder deutlich zu langsam wären.
Wir schalten den Motor gegen 12:30 Uhr aus und siehe da: Wir machen zwar keine 6-7kn, wie in der vergangenen Nacht und am Morgen, aber Sabir segelt dann doch mit knapp 6kn auf Kurs 80-85 Grad dem Ziel entgegen. Bei dieser Geschwindigkeit wird es zwar knapp, noch vor Sonnenuntergang anzukommen – aber das nehmen wir in Kauf. Falls uns das Ankerfeld in Portimão bei Nacht zu unübersichtlich vorkommt, dann legen wir uns einfach vor den Strand und ziehen bis zum Sonnenaufgang unsere Wachen durch…
Zum Abend frischt tatsächlich auch der Wind auf ca. 20kn auf, dreht auf 350 Grad und wir rasen unter Segeln mit 6,5kn Fahrt dahin. Wir sind alle euphorisch – so macht das Spaß!
Zum Abend hin merken wir eine Zunahme des Verkehrs an Großschiffen. Große Tanker und Containerschiffe passieren uns teilweise im Abstand von 1nm. In der Nacht ist ein Muster erkennbar: Die fahren alle 270 Grad aus der Straße von Gibraltar raus in Richtung Westen und kreuzen damit alle unseren Kurs.
Kurz vor Sonnenuntergang kommt es bei der Nutzung der elektrischen Winschen zu einer kurzzeitigen Unterspannung im Bordnetz, was dazu führt, dass alle Instrumente neu starten. Als das AIS wieder läuft, schickt es Fehlermeldungen, dass es keinen GPS-Fix aufbauen kann (nicht genügend GPS-Satelliten sieht). Wir haben zwar noch eine Position auf dem Raymarine-Plotter – der spricht aber nicht mit dem AIS. Somit kann das AIS zwar die Position anderer Schiffe empfangen – aber unsere Position den anderen nicht mehr aussenden. Bisschen blöd bei dem zunehmenden Verkehr. Es bleibt uns nichts als abzuwarten, bis das AIS die passenden Satelliten sieht und wieder beginnt unsere Position zu senden. Es dauert ca. 30 Minuten, bis es so weit ist. Bis dahin müssen wir halt noch aufmerksamer sein. Um sicherzugehen, dass wir wieder von den anderen Schiffen gesehen werden, funke ich bei meiner Wache von 22:00 Uhr bis Mitternacht ein Containerschiff an und frage den Wachhabenden, ob wir auf seinem AIS zu sehen sind. „Are you the one on my port side?“, „Yes“, „Ok, I see you. I will change my course to starboard.“ („Seid Ihr das auf meiner Backbordseite?“, „Ja“, „Ok, Ich sehe Euch, ich ändere meinen Kurs nach Steuerbord“) Ich versuche ein Foto von dem Schiff zu machen – das wird aber ziemlich verwackelt bei Nacht:
Tag 6, 25.7.2021
Tegi weckt mich vor meiner Wache um 6:00 Uhr, weil der Wind stetig stärker wird. Er geht in Böen über 25kn raus und Sabir droht dem Windpilot aus dem Ruder zu laufen.
Wir gehen im Groß auf Reff 2. Das ist ein bisschen Aktion, da wir ja das beschädigte Reff 1 mit Leinen entlastet haben. Ich gehe vor an den Mast (natürlich mit meinen Lifebelts an den Strecktauen gesichert) und Tegi übernimmt die Arbeit mit den Leinen im Cockpit. Auch die Genau rollen wir ein bisschen weiter ein.
„Sabir“ liegt nun wieder ruhiger am Ruder und der Windpilot hält wieder schön seinen Kurs.
Tegi zeigt mir noch kurz die aktuellen AIS-Ziele, die er derzeit beobachtet und ich bin ziemlich überrascht: Wo wir in den letzten Tagen ein oder zwei Ziele hatten, sind nun so viele, dass wir sie auf dem kleinen B&G-Instrument im Cockpit nicht mehr auseinanderhalten können. Unten auf dem Raymarine-Plotter ist das dann doch einfacher. Ich schalte die Auflösung des B&G runter, so dass wir nur noch die Ziele im Umkreis von 12nm angezeigt bekommen – aber auch das sind noch einige. Es ist voll um uns geworden.
Tegi verabschiedet sich und übergibt mir die Wache. Ich wünsche ihm eine „Guude Ruh“ und setze mich ins Cockpit und beobachte Wind, Wellen und AIS-Ziele. Der Wind nimmt weiter zu, wir kommen dem Kap immer näher und somit auch den kräftigeren Winden, mit denen hier zu rechnen ist.
Ich erlebe während meiner zwei Stunden Wache das erste mal auf „Sabir“ und das erste Mal „alleine“ auf einem Ozean Windstärke 6 mit Böen an die 30kn (ich weiß, das ist alles noch im Rahmen – aber ich fand es aufregend). Mit dem starken Wind nehmen auch die Wellen zu. Von der Seite rollen relativ hohe Wellen (ich tue mich schwer die Höhe korrekt zu schätzen, 2-3m könnten es vielleicht gewesen sein) auf uns zu. „Sabir“ gleitet auf der einen Seite hoch und auf der anderen wieder herunter. Anfangs fragt ein irrationaler Teil in mir „hoffentlich kippt sie nicht um…“ der rationale Teil weiß, dass das alles normal ist und dass „Sabir“ in ihrem Leben schon ganz anderes erlebt hat. Sie ist viel erfahrener als ich, hat sie doch mit Stefan und Ilja bereits eine Weltumsegelung hinter sich. Ich vertraue ihr.
Wind und Welle dauern so ziemlich genau über die Zeit meiner Wache an. Als Oliver seine Wache beginnt, bin ich noch ziemlich wach und aufgedreht. Wir setzen Reff 2 noch zusammen durch, damit das Segel besser steht. Inzwischen hat sich die See wieder etwas beruhigt, so dass wir, einer am Mast, der andere am Baum, die Reffleine durchziehen können, so dass das Unterliek korrekt gestreckt werden kann. Während dieser Aktion passieren wir den Punkt südöstlich des Verkehrstrennungsgebiets und setzen wieder Kurs auf die Küste. Ich überlasse Oliver die Wache und lege mich hin. Nach dem Tempo, das wir hier vorgelegt haben, werden wir sicher am Abend an der Algarveküste ankommen.
Wir haben in den letzten 24h Stunden ein Etmal von 142nm gemacht, Sabir ist also auch nur unter Segeln schön schnell (im Schnitt knapp 6kn).
Um die Mittagszeit dreht der Wind immer weiter auf Nordnordwest, bis er am Nachmittag aus 280 Grad kommt. Der Wind hat wieder nachgelassen und wir sind am Wind mit 5-6kn unterwegs. Der drehende Wind bringt uns direkt nach Lagos. Wir werden also unseren Landfall in Lagos machen, am Strand vor Lagos unseren Anker fallen lassen und unser Ankerbier trinken.
Irgendwann kommen wir in den Bereich der Mobilfunkabdeckung und schon beginne ich Claudia Nachrichten zu schreiben und ein paar Bilder zu schicken.
Kurz vor Lagos gibt es noch mal einen kleinen Schreckmoment. Während der Überfahrt ist irgendwann die Logge ausgefallen – das ist an sich nicht dramatisch. Die Logge gibt uns die Geschwindigkeit an, mit der Sabir durch das Wasser fährt. Diese wird, anders als die Geschwindigkeit über Grund, nicht vom GPS berechnet, sondern von einem kleinen Schaufelrädchen ermittelt. Wir haben angenommen, dass sich das Rädchen zugesetzt hat und sich einfach nicht mehr dreht. Zusammen mit der Geschwindigkeit misst das Gerät auch die Wassertiefe und die Temperatur. Da der Tiefenmesser draußen auf dem Atlantik keine sinnvolle Anzeige hat (4000m Wassertiefe kann er einfach nicht messen, bei ca. 40m ist glaub Schluss…), habe ich die Anzeige einfach von unserem Instrument heruntergenommen und durch einen sinnvolleren Messwert ersetzt. Als ich Oliver nun bitte, die Tiefe wieder auf dem Display anzuzeigen, stellen wir fest, dass an Stelle der Tiefe einfach drei Striche angezeigt werden. Eine Kontrolle der Datenquellen zeigt: Der gesamte Geber für die Fahrt durchs Wasser, die Tiefe und die Wassertemperatur ist ausgefallen – der liefert einfach keine Daten mehr.
Wir müssen also nun in einem uns fremden Gezeitenrevier ohne Tiefenmesser einen geeigneten Ankerplatz ansteuern. Zum Glück gibt es die Sonarcharts von Navionics, die eine sehr aktuelle und genaue Tiefenangabe auf der elektronischen Seekarte ermöglichen. Außerdem habe ich letztes Jahr auf „Sabir“ ein Lot gefunden, mit dem man die Wassertiefe loten kann (Danke Stefan für die ganze Ausrüstung, die ich von Euch übernommen habe). Ich fahre also behutsam den Punkt auf der Seekarte an, an dem ich ankern will. Ich sage Oliver die erwartete Wassertiefe an und Oliver bestätigt diese mit dem Lot. Christoph lässt den Anker fallen, ich fahre ihn rückwärts ein.
Wir haben es geschafft. Nach 5 Tagen, 9 Stunden und 10 Minuten haben wir 655nm über den Atlantik zurückgelegt. Wir sind am 20.7. um 12:30 Uhr gestartet und am 25.7. um 21:40 Uhr angekommen. Wir trinken zufrieden unser erstes Bier seit vergangenem Montag. Ich bin froh endlich wieder mit Claudia telefonieren zu können und sie sogar per FaceTime zu sehen. Ich freue mich über die Blog-Beiträge, die Claudia für Euch geschrieben hat und über Eure Kommentare.
Danke auch an Tegi, Christoph und Oliver, dass Ihr bei der Überführung an die Algarve dabei wart. Ohne Euch läge „Sabir“ vermutlich immer noch auf Porto Santo…
Danke an Stefan, der uns aus der Ferne auf meinem ersten größeren Schlag durch das Wetter gelotst hat. Ich bin froh, dass Du und Ilja Eurer alten „Sabir“ noch so die Treue haltet!
Die folgenden Tage…
Wir haben nun nach der Überfahrt noch eine gute Woche Zeit und wollten eigentlich noch ein bisschen an der Algarve segeln. Nun müssen wir uns jedoch zuerst mal um das kaputte Segel kümmern.
Montag fahren wir in die Marina de Lagos und legen uns dort an einen Steg. Tegi hat heute Geburtstag und Christoph macht im Backofen leckere Dorade mit Kartoffeln und Parmesan überbacken. Damit die Sonne sicher untergeht, bereitet Tegi uns seinen legendären Sundowner zu.
Am Dienstag nehmen wir das Großsegel herunter und geben es dem Segelmacher zur Reparatur (er bekommt auch die Lazy Bags des Großsegels um einen Reißverschluss zu tauschen). Der Segelmacher will uns das Segel am Freitag repariert zurückgeben. Damit wird aus dem Segeln an der Algarve nichts. Beim lokalen Ausrüster bestelle ich einen Ersatz für den Tiefenmesser, der vermutlich am Mittwoch geliefert werden wird.
Mittwochmorgen gehen wir noch mal vor Lagos an den Anker, da der Tiefenmesser natürlich erst nach dem Mittag kommen soll und wir nicht noch eine Nacht die Kosten für die Marina zahlen wollen. Wegen der Breite von Sabir zahlen wir 55,-€ pro Nacht. Zuzüglich der lokalen Mehrwertsteuer werden das knapp 70,-€…
Im Verlaufe des Nachmittags fahre ich mit dem Dinghy in die Marina und hole den Tiefenmesser ab. Ich baue ihn gleich ein – er funktioniert. Nun fühle ich mich beim Manövrieren in Küstennähe wieder wohler.
Wir segeln mit der Genua eine Bucht weiter nach Alvor und legen uns da vor Anker. Auf dem Grill machen wir uns leckere Sardinen. Auch heute tragen wir mit dem Sundowner dazu bei, dass die Sonne zuverlässig untergeht.
Von Alvor fahren wir am Donnerstag auch noch nach Portimão und schauen uns dort den Ankerplatz an. Dort hinter dem Wellenbrecher ist das Wasser heute deutlich wärmer, als die letzten Tage vor Lagos oder Alvor, so dass wir ins Wasser gehen.
Oliver und ich nehmen eine der manuellen Winschen auseinander und reinigen sie penibel. Wir entdecken, dass Salatöl und eine Zahnbürste perfekte Reinigungsmittel für verharztes Fett sind. Wir machen beim Auseinanderbauen von jedem Schritt ein Foto, damit wir alles wieder genau so zusammengebaut bekommen, wie es sich gehört. Ich werde irgendwann mal noch ein Blog-Artikel zu der Winschenwartung schreiben – ich wäre froh gewesen, wenn ich im Vorfeld einen für die schon etwas ältere Winsch gefunden hätte. Nachdem alles gereinigt ist, bauen wir die Winsch ungefettet provisorisch zusammen um zu schauen, ob wir alles richtig machen. Es bleibt kein Teil übrig und sie „klackert“ wieder so wie sie soll. Nun wartet noch die zweite manuelle Winsch auf Wartung. Das mache ich dann demnächst mal mit Claudia zusammen.
Christoph hat derweil bei einer unserer Bordtoiletten die Pumpe gewartet und gereinigt, sowie alle Dichtungen getauscht. Nun läuft hier „rückwärts“ kein Wasser mehr in die Schüssel und die Pumpe zieht beim Wasser holen keine Luft mehr.
Am Freitagmorgen, den 30.7. fahren wir früh von Portimão los und fahren unter Motor Richtung Lagos. Frühstück gibt es unterwegs. Oliver und ich bauen ein letztes Mal die Winsch auseinander und dieses Mal gefettet wieder zusammen. Sabir wird gründlich innen und außen gereinigt. Der Segelmacher bringt das Segel wieder – jedoch haben wir ziemlich starken Wind, so dass nicht daran zu denken ist, das Segel gemeinsam wieder aufzuziehen. Das werde ich dann ebenfalls demnächst mit Claudia machen.
Am Samstagmorgen fahre ich meine Crew mit einem Mietwagen auf den Flughafen nach Lissabon. Am Sonntag werde ich Claudia mit einem Mietwagen am Flughafen in Faro abholen. Ich freue mich auf die nächsten Wochen mit ihr an der Algarve.